Wir hatten bereits über das Verwaltungsverfahren über eine rechtswidrige Bestellung zum Leitenden Notarzt berichtet. Jetzt hat man uns freundlicherweise das Urteil des Verwaltungsgerichts hierzu zugeleitet. Lesen Sie nachfolgend die Entscheidungsgründe des Urteils.

Wir beschränken uns auf die Wiedergabe der Entscheidungsgründe. Einzelne fett gedruckte Hervorhebungen und Verlinkungen stammen von uns. 

Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urteil vom 19.12.2017 – M 16 K 16.1781

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Rechtsanspruch auf Neuverbescheidung ihres Antrags auf Bestellung zur Leitenden Notärztin vom ♦♦♦, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 VwGO.

Anmerkung hierzu: Das Gericht hat damit ausgesprochen, dass das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurück an die Ausgangsbehörde geht.

Das durchgeführte Verfahren zur Besetzung der Stellen der Leitenden Notärzte muss den Erfordernissen der Rechtsprechung an die Besetzung von Beamtenstellen genügen, die sich aus Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und Art. 94 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung ergeben. Dies ist nicht der Fall.

Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei dem Leitenden Notarzt in Bayern um ein öffentliches Amt (vgl. BGH, U.v. 9.1.2003 – III ZR 217/01 – juris. Rn. 5). Davon geht auch der Beklagte aus, er ordnet die Tätigkeit des Leitenden Notarztes ebenfalls als Ehrenamt ein. Bestätigt wird diese Einschätzung zumindest indirekt auch durch § 33a Abs. 1 und Abs. 2 Bayerisches Rettungsdienstgesetz (BayRDG).

Die Beteiligten gehen ferner übereinstimmend davon aus, dass der Maßstab des Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) und des Art. 94 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung für die Besetzung der Stellen des Leitenden Notarztes anzuwenden sei. Insbesondere im Ablehnungsbescheid vom ♦♦♦ und in der Klageerwiderung vom ♦♦♦ verdeutlicht dies der Beklagte selbst nochmals.

Aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich die Pflicht des Dienstherrn, also des Beklagten, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen und so die Auswahlentscheidung transparent zu machen (VG Würzburg, B.v. 2.8.2010 – W 1 S 10.559 – juris Rn. 26). Nur in Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen kann der unterlegene Bewerber entscheiden, ob er eine Auswahlentscheidung hinnehmen oder gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Ferner gibt erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also die Entscheidung über die Stellenbesetzung durch den zuständigen Amtsträger. Es müssen die maß geblichen Auswahlerwägungen vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens schriftlich niedergelegt werden (BayVGH, B.v. 28.4.2016 – 3 CE 16.583 – juris Rn. 26).

Der Beklagte stellte zuletzt – abweichend vom Ablehnungsbescheid vom ♦♦♦ und der Klageerwiderung vom ♦♦♦ – ohne nähere Begründung und ohne Verweis auf Rechtsprechung oder Literatur darauf ab, dass der soeben aufgezeigte verfassungsrechtliche strenge Maßstab für die Besetzung der Stellen des Leitenden Notarztes nicht anzuwenden ist, weil es sich um ein Ehrenamt handle. Dieser Rechtsauffassung kann nicht gefolgt werden. Die einschlägigen rechtlichen Grundlagen, das Bayerische Rettungsdienstgesetz und die Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes, sehen an keiner Stelle eine freihändige Vergabe der Stellen des Leitenden Notarztes vor. Vielmehr sieht § 15 Abs. 2 AV- BayRDG selbst zwingende Auswahlkriterien vor und fordert zudem vom Beklagten die Ausübung von Ermessen bei der Besetzung der Stellen der Leitenden Notärzte. Damit die Auswahlentscheidung der Leitenden Notärzte nicht an einem Ermessensfehler leidet, muss bei Beurteilung der Frage, welche Anforderungen die Stelle eines Leitenden Notarztes an die Eignung, Befähigung und Leistung eines Bewerbers stellt, denklogisch zwingend auf den beamtenrechtlichen Grundsatz der Verschriftlichung der Auswahlentscheidung zurückgegriffen werden. Andere Maßstäbe wären ermessensfehlerhaft, zumal es sich um ein öffentliches (Ehren-)Amt handelt. Im Anschluss daran folgt aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V. mit Art. 19 Abs. 4 GG die Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen in den Akten des Auswahlverfahrens und nicht erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren niederzulegen. Nur durch die schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen in den Akten wird zum einen der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen. Zum anderen eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen und etwaige Fehler bei der Ermessensausübung über die Vergabe der Stellen der Leitenden Notärzte zu überprüfen.

Die Behördenakte lässt jegliche Auswahlerwägung des Beklagten zur Besetzung der Stellen der Leitenden Notärzte vor Erlass des streitgegenständlichen Ablehnungsbescheids vermissen. Deshalb ist das Besetzungsverfahren offensichtlich rechtswidrig. Das Protokoll des Jour Fixe der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in Bayern des ZRF Fürstenfeldbruck, das vom Beklagten noch zur Akte gegeben wurde, enthält eben falls keine verschriftlichte Auswahlentscheidung, sondern lediglich Vorschläge für Auswahlkriterien. Zudem muss der Beklagte die maßgeblichen Auswahlkriterien und die Auswahlentscheidung selbst verschriftlichen. Ein Protokoll eines Jour Fixes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst reicht hierfür nicht. Wie sich zumindest aus dem Umkehrschluss Art. 15 Abs. 4 AVBayRDG und auch aus dem streitgegenständlichen Bescheid ergibt, ist der Beklagte für die Bestellung von Leitenden Notärzten selbst zuständig und nicht der Ärztliche Leiter Rettungsdienst.

Aus den vorgelegten Protokollen der Treffen der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst geht ferner hervor, dass im Rettungsdienstbereich des Beklagten offenbar allgemein davon ausgegangen wird, dass im Landkreis Dachau zum 1. Januar 2016 freigewordene Stellen für Leitende Notärzte zunächst nur nach dem Kriterium „bekannt und bewährt“ zu besetzen sind. Lediglich eine freie Stelle ist dann nach diesen Protokollen noch zu vergeben und zwar entweder an den Beigeladenen zu ♦♦♦ oder die Klägerin. Im Anschluss daran nimmt der Beklagte in seiner Klageerwiderung mit Verweis auf die Aufgaben eines Leitenden Notarztes vor allem einen Vergleich zwischen dem Beigeladenen zu ♦♦♦ und der Klägerin vor. Auch dieses Vorgehen ist rechtsfehlerhaft. Für die Stellen der Leitenden Notärzte, die zum 1. Januar 2016 frei wurden, gab es mehrere Bewerber. Im entsprechenden Stellenbesetzungsverfahren hätten alle Bewerber miteinander verglichen werden müssen. Es reicht keinesfalls aus, nur auf die Kriterien „bekannt und bewährt“ sowie eine „entsprechende Einsatzerfahrung“ abzustellen. Solche Kriterien dürfen zwar ergänzend neben weiteren Kriterien herangezogen werden, wobei es aber eines Vergleichs aller Bewerber gegeneinander bedarf. Andernfalls wäre es neuen Bewerbern um die Stelle eines Leitenden Notarztes praktisch unmöglich zum Zuge zu kommen, da das Kriterium „bekannt und bewährt“ von diesen neuen Bewerbern nicht erfüllt werden kann. Zudem ist es beispielsweise denkbar, dass einer der „bekannten und bewährten“ Bewerber möglicherweise aus beruflichen Gründen für eine Rettungsdienstalarmierung nicht mehr erreichbar ist und deshalb ein anderer Bewerber zu bevorzugen ist.

Weiterhin ist wegen der Natur des öffentlichen Amtes des Leitenden Notarztes – wie bei allen anderen vergleichbaren Stellenbesetzungen – bereits der Anschein der Bevorteilung einzelner Bewerber zu vermeiden.

Es war nicht notwendig, dass die Klägerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Besetzung der Stellen des Leitenden Notarztes vorgeht. Dies ergibt sich aus Art. 15 Abs. 4 AVBayRDG, wonach ein Widerruf einer Bestellung zum Leitenden Notarzt aus wichtigem Grund jederzeit möglich ist. Der wichtige Grund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, ein fehlerhaftes Auswahlverfahren ist ein wichtiger Grund für einen Widerruf, da die verfassungsrechtlichen Grundsätze zur Besetzung von Beamtenstellen dann nicht eingehalten worden sind.

Soweit bemängelt wird, dass im Landkreis Dachau statt der üblichen sechs vorliegend acht Leitende Notärzte bestellt wurden, ist dies nicht problematisch. Die erhöhte Anzahl an Stellen kommt der Klägerin sogar zu Gute, da es dann mehr Leitende Notärzte gibt und ihre Bewerbung möglicherweise eher zum Zug kommt.

Anders als die Klägerin meint, müssen die Stellen für Leitende Notärzte nicht ausgeschrieben werden, eine allgemeine beamtenrechtliche Pflicht besteht insofern nicht, vgl. Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz. Ein besonderes dienstliches Interesse an einer Ausschreibung der Stellen für Leitenden Notärzte ist nicht zu erkennen. Spezialgesetzlich ist im Bayerischen Rettungsdienstgesetz und in der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes keine von diesem Grundsatz abweichende Regelung zu finden. Zudem ist eine Bewerbung als Leitender Notarzt jederzeit möglich, so dass es keiner Ausschreibung bedarf. Berücksichtigt werden muss und kann diese Bewerbung dann, sobald eine Stelle für einen Leitenden Notarzt frei wird – sei es durch Aufgabe der Ehrenamts oder durch Ablauf des Bestellungszeitraums.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


Die nachfolgende Entscheidung ist auf vielfache Sachverhalte im Rettungsdienst übertragbar, beispielsweise auf das Vorgehen bei der Bestellung der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) oder der Organisatorischen Leiter Rettungsdienst (OrGL).