Das Notfallsanitätergesetz sieht für Notfallsanitäter vor, ansich ärztliche Maßnahmen eigenverantwortlich oder in Mitwirkung auszuführen. Darunter fallen auch 1c- und 2c-Maßnahmen. Doch was dürfen Notfallsanitäter bei 1c und 2c wirklich?

Regelungsinhalt des Notfallsanitätergesetzes

Dürfen Notfallsanitäter allein aufgrund des NotSanG ärztliche Maßnahmen erbringen?

Nein, meines Erachtens nicht. Das Gesetz über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters (Notfallsanitätergesetz – NotSanG) ist ein Berufszugangs- und Ausbildungsgesetz. Es regelt, wer überhaupt die Berufsbezeichnung Notfallsanitäter führen darf und die Voraussetzungen hierfür. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich ausschließlich mit den Inhalten der Ausbildung. Darunter fällt auch § 4 NotSanG, der die Ausbildungsziele definiert. Das Notfallsanitätergesetz verleiht insoweit keine Kompetenz zur eigenverantwortlichen Anwendung dieser Maßnahmen.

§ 1 Abs. 1 HeilPrG regelt den Arztvorbehalt. Wer Heilkunde ausüben will, benötigt eine Approbation als Arzt oder eine Erlaubnis. Die Ausbildung zum Notfallsanitäter verleiht zwar die Fähigkeiten. Das allein gestattet aber noch nicht die Ausübung. Anders ist dies beispielsweise bei Hebammen und Entbindungspflegern, die nach § 4 HebG zur Geburtshilfe – und damit zu einer beschränkten Heilkunde – berechtigt sind.

Was regelt dann § 4 NotSanG mit den 1c- und 2c-Maßnahmen?

§ 4 NotSanG definiert Ausbildungsziele. Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ermächtigt den Bund zur Ausgestaltung von Berufszulassungsregeln. Regelungen zur Berufsausübung ist allerdings Aufgabe der Länder. Notfallsanitäter sollen also aufgrund ihrer Ausbildung die Maßnahmen kennen und beherrschen. § 4 NotSanG enthält keine eigenständige Ausübungserlaubnis. Das entspricht den Regelungen anderer Berufsausbildungen im Gesundheitswesen einschließlich derer der Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Masseure.

Thomas Hochstein formuliert es treffend: „Der NotSan kann mehr als der RettAss–er darf aber zunächst nicht mehr.“ Es sind „ergänzende (landesrechtliche) Regelungen erforderlich.“ (Hochstein, Was darf der Notfallsanitäter tun? Vortrag 05.12.2018)

Die Abgrenzung der Maßnahmen ist derzeit eine der häufigsten Fragen im Rettungsdienstrecht.

Eigenverantwortliche 1c-Maßnahmen

Die Ausbildung soll Notfallsanitäter nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 NotSanG zur eigenverantwortlichen Ausführung bestimmter Maßnahmen befähigen.

Dazu zählen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1c NotSanG auch medizinische Maßnahmen der Erstversorgung bei Patienten im Notfalleinsatz und das Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten. Sie umfassen auch invasiven Maßnahmen. Die Maßnahmen sollen einer Verschlechterung der Situation der Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes bzw. bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorbeugen. Voraussetzung ist, dass ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, darf ein Notfallsanitäter keine invasiven, Ärzten vorbehaltenen Maßnahmen, durchführen.

Delegierte Maßnahmen nach 2c

Nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 NotSanG soll das Ausbildungsziel Maßnahmen beinhalten, die Notfallsanitäter im Rahmen der Mitwirkung ausführen.

Neben dem Assistieren (2a) und dem eigenständigen Durchführen ärztlich veranlasster Maßnahmen beim Patienten, zählt zur Rahmen der Mitwirkung auch das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen. Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst sollen diese bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgeben, überprüfen und verantworten, § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG.

Bislang ist nicht geklärt, ob § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG zu einer eigenständigen Durchführung von heilkundlichen Maßnahmen ermächtigen soll (Substitution ärztlicher Leistungen). Oder ob es sich um Aufgaben handelt, die der Ärztliche Leiter delegiert hat (Delegation ärztlicher Leistungen). Die überwiegende Rechtsauffassung geht wohl von einer Delegation aus. Eine „Delegation“ wäre allerdings nur dann möglich, wenn Standard Operating Procedures (SOP) weitgehend alle Behandlungsoptionen abgedecken. Diese sind so präzise zu formulieren, dass sie möglichst keinen Bewertungsspielraum zulassen. Andernfalls läge eine ohne gesetzliche Grundlage unzulässige Substitution vor. [WD9-3k, Seite 3] [Nachtrag vom 02.08.2019: Die 2c-Maßnahmen betreffen die so genannte „Vorab-Delegation durch einen nicht am Einsatzort anwesenden Ärztlichen Leiter“. Das Assistieren und Durchführen unmittelbar von einem Arzt am Einsatzort angewiesener, delegierbarer Maßnahmen bleibt grundsätzlich zulässig. Voraussetzung ist, dass der Durchführende die Maßnahme beherrscht und der anwesende Notarzt die Maßnahme überwacht. Die Anordnung obliegt dem anwesenden Arzt. Der Notfallsanitäter übernimmt die Durchführung.]

Landesrechtliche Regelungen

Einzelne Bundesländer haben die Delegation ärztlicher Maßnahmen im Gesetz aufgegriffen, beispielsweise

Bayern

Vorbildlich sieht Bayern in Art. 12 BayRDG Kompetenzen der Ärztlichen Leiter im Rettungsdienst (ÄLRD) vor. Die ÄLRD sollen demnach für ihren Rettungsdienstbereich Aufgaben im Rahmen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c NotSanG auf Notfallsanitäter delegieren, soweit sie eine persönliche ärztliche Kenntnis des Patienten nicht erfordern.

Nordrhein-Westfalen

In anderen Bundesländern ist die Rechtslage weniger deutlich und von der Auslegung problematisch. Nordrhein-Westfalen hat zwar im Gesetz einen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst verankert. Der Ärztliche Leiter hat den Rettungsdienst nach § 7 Abs. 3 RettG NRW in medizinischen Belangen und Angelegenheiten des Qualitätsmanagements zu leiten und zu überwachen. Ob eine „Leitung medizinischer Belange“ die Delegation ärztlicher Maßnahmen umfassen kann, wage ich zu bezweifeln. Das sieht wohl auch die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags so, WD9-3k, Seite 5.

Anders sieht dies der Landesverband der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst NRW in seinen Handlungsempfehlungen über Behandlungspfade und Standardarbeitsanweisungen. Demnach umfasst die Leitung medizinischer Belange Fragestellungen zur möglichen Delegation von Aufgaben im Rahmen des § 4 Absatz 2 Nr. 2c NotSanG. Die Empfehlung überzeugt mich nicht, da es an einer rechtlichen Begründung für die Aussage fehlt. Abschließend rechtlich geprüft habe ich die Frage bislang allerdings nicht.

Alles klar?

Nein. Aufgrund der erheblichen Unsicherheiten unter den Notfallsanitätern empfehlen sich verbindliche und hinreichend konkrete Leitlinien sowie rechtliche Schulungen der Mitarbeiter. Dabei sollte klargestellt werden, in welchem Bundesland welche gesetzliche Regelungen gelten. Die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst sollten eindeutige Vorgaben machen, die Maßnahmen schulen und überwachen. Dem sollte stets eine rechtliche Prüfung der Delegationsfähigkeit voranstehen.

Vielleicht wird sich im Rahmen der Diskussionen um den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung der Notfallversorgung die Rechtslage erneut ändern?

Einzelnachweise

  • Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, Die Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c des Notfallsanitätergesetzes, Bundesrechtliche Vorgaben und Umsetzung durch die Bundesländer, Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 042/16 [PDF]
  • Handlungsempfehlungen des Landesverbandes der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst in NRW über Behandlungspfade und Standardarbeitsanweisungen [PDF]
  • Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, Die Ausbildungszielbestimmung des § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe c des NotfallsanitätergesetzesBundesrechtliche Vorgaben und Umsetzung durch die Bundesländer (WD9-3k) [PDF]