Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat mit seinem Urteil vom 05.05.2023 – 6 S 2249/22 eine für Baden-Württemberg wichtige Entscheidung getroffen. Sie dürfte landesübergreifend Bedeutung erlangen. Der Rettungsdienst ist Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.

Zum Hintergrund

Der Rettungsdienst wird in Baden-Württemberg derzeit durch ein Verwaltungsmonopol der in § 2 Abs. 1 RDG BW gesetzlich benannten Rettungsdienstorganisationen betrieben. Namentlich sind das der Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz mit seiner Bergwacht Württemberg, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser-Hilfsdienst, ferner die DRF Luftrettung, die Bergwacht Schwarzwald und die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft.
Dritte werden nur bei Bedarf oder als Kooperationspartner einbezogen. Ein solcher Bedarf wurde bislang nicht erkannt. Eine Ausnahme bilden Altgenehmigungsinhaber, die bereits vor der Gesetzesnovellierung am Rettungsdienst beteiligt waren. Bislang hatten die Gerichte einen Anspruch weiterer Leistungsträger neben den gesetzlichen Rettungsdienstorganisationen abgelehnt.
Die Planung des Rettungsdienstes erfolgt in enger Abstimmung mit den Verwaltungsmonopolisten. Das Innenministerium stellt in enger Zusammenarbeit mit dem Landesausschuss für den Rettungsdienst einen Rettungsdienstplan auf und passt ihn der Entwicklung an. Dem Landesausschuss gehören ein Vertreter des Innenministeriums und je zehn Vertreter der Leistungsträger sowie der Kostenträger an. Der Rettungsdienstplan legt die Grundzüge einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung fest. Die Hilfsfrist als Zeit vom Eingang der Notfallmeldung in der Integrierten Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort an Straßen soll aus notfallmedizinischen Gründen möglichst nicht mehr als 10, höchstens 15 Minuten betragen. Die konkrete Ausgestaltung auf Bereichsebene setzt sodann der jeweilige Bereichsausschuss um.
Jetzt sah die Landesplanung allerdings eine Hilfsfrist vor, die erheblich von der gesetzlichen Vorstellung der Hilfsfrist abwich – zum Nachteil der Patienten. Das war auch vom Urheber des Landesbedarfsplans so vorgesehen. Denn der durch die gesetzlichen Rettungsdienstorganisationen mitgestaltete Rettungsdienst hatte tatsächlich bereits Schwierigkeiten, die gesetzliche Hilfsfrist einzuhalten. Der Rettungsdienst traf also in mehr als den gesetzlich vorgesehenen Fällen zu spät ein.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Der Verwaltungsgerichtshof kam nun in seiner Entscheidung vom 05.05.2023 – 6 S 2249/22 zu dem Schluss, dass § 6 des Landesplans gegen höherrangiges Recht verstößt. Zwar sei der Rettungsdienstplan formell rechtmäßig zustande gekommen. Die Bestimmungen in § 6 RDPl. erweisen sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als materiell rechtswidrig mit der Folge, dass § 6 RDPl. insgesamt für unwirksam zu erklären war.

Vorgaben der Bedarfsplanung

Die Vorgaben in § 6 RDPl. sind jedenfalls insoweit nicht mit den gesetzlichen Vorgaben in § 3 Abs. 2 Satz 5 und 6 RDG vereinbar, als die gesetzliche Frist von möglichst nicht mehr als 10 Minuten vollständig außer Acht gelassen wird und der Notarzteinsatzdienst nicht an die Hilfsfrist gebunden sein soll. (…) Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 RDPl. gilt die in § 3 Abs. 2 Satz 6 RDG normierte Hilfsfrist als erreicht, wenn eine Frist von 12 Minuten in 95 % der Notfalleinsätze eingehalten wird. Dies bleibt insoweit hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück, als die gesetzliche Frist von „möglichst 10 Minuten“ nach dem Rettungsdienstplan, der nach § 3 Abs. 3 RDG wiederum die Grundlage für die Planung eines bedarfsgerechten und leistungsfähigen Rettungsdienstes auf der Ebene der Rettungsdienstbereiche bildet, überhaupt keine Rolle als Planungsgröße spielt.  (…) der Gestaltungsspielraum ist jedenfalls dann überschritten, wenn die vom Gesetzgeber unter Hinweis auf notfallmedizinische Gründe vorgegebene 10-Minuten-Frist als solche vollständig außer Acht gelassen wird. 

Hilfsfrist in Baden-Württemberg nicht erreicht

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs lag der Zielerreichungsgrad in beiden Jahren bezüglich der 10-Minuten-Frist in vielen Rettungsdienstbereichen unter 70 % für den Rettungswagen und unter 60 % für den Notarzt. Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg erreicht die Zielvorgaben nicht.

Recht auf Rettungsdienst

Die Bürger hätten ein Recht darauf, dass unter Beachtung der sich aus der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs2 Satz 1 GG ergebenden Mindestanforderungen ein funktionierendes System des Rettungsdienstes vorgehalten wird. 

Auswirkungen

Die Umsetzung des Rettungsdienstes in Baden-Württemberg ist in jüngerer Vergangenheit vielfach kritisiert worden. Der Rettungsdienstplan ist jetzt sowohl auf Landes- als auch auf Bereichsebene zunächst zeitnah anzupassen, auch um Amtshaftungsansprüche zu vermeiden. Die Entscheidung dürfte zudem Auswirkungen auf die Einbindung anderer als der gesetzlichen Rettungsorganisationen haben.
Hier ist mindestens ein weiteres Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig.
Wie sich der Gesetzgeber zu der Situation im Rettungsdienst positionieren wird, ist eine andere Frage. Grundsätzlich führen Personalmangel und veraltete, überkommene Strukturen derzeit zu massiven Problemen bei der Hilfsfristenerreichung im ganzen Land. Rettungsdienst muss daher vom Grunde auf neu gedacht werden. Daran trauen sich viele allerdings viele Gesetzgeber und Träger noch nicht heran. Ansätze zur wirtschaftlichen Verbesserung gäbe es genügend.
Quelle: Entscheidungssammlung Baden-Württemberg

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