Notfallsanitäter sollen Betäubungsmittel künftig ohne ärztliche Delegation verabreichen dürfen. Durch das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) – Bundestag-Drucksache 20/6871, Ausschussdrucksache 20(14)117.1 neu vom 20.06.2023 (PDF) sind Änderungen des § 13 BtMG, der BtMVV und des § 2a NotSanG vorgesehen.
Änderungen im Betäubungsmittelgesetz
Betäubungsmittel sind nur die in den Anlagen I bis III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. Anlage III enthält die verschreibungsfähigen Betäubungsmittel (BtM). Der Umgang mit Betäubungsmitteln bedarf grundsätzlich einer Erlaubnis, § 3 BtMG. § 13 BtMG zusammen mit der BtMVV regelt die Verschreibung und Abgabe von Betäubungsmitteln.
Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel – erfasst sind unter anderem Morphium, Oxycodon, Hydromorphon und Fentanyl – sollen nach § 13 Abs. 1b BtMG durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn
- diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln,
- ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und
- die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist.
Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen
- den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen
- Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
- Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.
Änderungen im Notfallsanitätergesetz
In § 2a NotSanG wird nach invasiver Art noch die medikamentöse Art heilkundlicher Maßnahmen eingeführt. Gleiches gilt für § 4 Abs. 2 Nr. 1c NotSanG. Zwar umfassen invasive Maßnahmen grundsätzlich auch die medikamentöse Applikation, der Wortgebrauch soll jedoch der Rechtsklarheit dienen, so die Gesetzesbegründung auf Seite 15 im Entwurf eines Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), Bundestag-Drucksache 20/6871.
Bis zum Eintreffen von Notarzt/Notärztin oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen, Versorgung dürfen Notfallsanitäter/innen demnach heilkundliche Maßnahmen, einschließlich heilkundlicher Maßnahmen invasiver oder medikamentöser Art, dann eigenverantwortlich durchführen, wenn
- sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen und
- die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.
Änderung der BtMVV
§ 6 BtMVV enthält Regelungen über das Verschreiben von Betäubungsmitteln im Rettungsdienst. Rettungsdienstträger oder Durchführende beauftragen hierzu eine/n Arzt/Ärztin mit der Verschreibung der benötigten Betäubungsmittel. Ferner ist ein Versorgungsvertrag mit einer beliefernden Apotheke abzuschließen. Der beauftragende Arzt verschreibt die Betäubungsmittel auf einem Betäubungsmittelanforderungsscheinen, § 10 Abs. 1 BtMVV. Die nummerierten Betäubungsmittelanforderungsscheine werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anforderung ausgegeben, § 10 Abs. 2, 3 BtMVV.
Bislang haben nur Ärzte Verbleib und Bestand der Betäubungsmittel dokumentiert. § 6 Abs. 2 Satz 2 BtMVV über das Verschreiben für Einrichtungen des Rettungsdienstes wird dahingehend geändert, dass Aufzeichnungen des Verbleibs und Bestandes der Betäubungsmittel auch durch die jeweils behandelnden Notfallsanitäter zu führen sind.
Nachweisführung und Angaben hierzu bestimmen sich nach §§ 13, 14 BtMVV. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt die amtlichen Formblätter für das Verschreiben (Betäubungsmittelrezepte und Betäubungsmittelanforderungsscheine) und für den Nachweis von Verbleib und Bestand (Karteikarten und Betäubungsmittelbücher) heraus und macht sie im Bundesanzeiger bekannt, § 15 BtMVV.
Sanktionen
Mit Freiheitsstrafe mit bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird zukünftig bestraft, wer entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht. Die weiteren Strafbarkeitstatbestände in § 29 BtMG bleiben unberührt. Fehlende Angaben auf dem Anforderungsschein können daher ebenso wie Verstöße gegen die Aufbewahrungspflichten oder die Nachweispflicht für Anforderungsscheine auch bei Fahrlässigkeit als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden, §§ 17 Nrn. 1, 6 und 8 BtMVV, 32 Abs. 1 Nr. 6 BtMG.
Bisherige Rechtslage
Bislang galt die Verabreichung von Opiaten durch Notfallsanitäter ohne Delegation als nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten. Die in Anlage III bezeichneten Arzneimittel durften gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG „nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch […] überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist.“
§ 4 NotSanG definiert das Ausbildungsziel der Notfallsanitäterausbildung. Unklar war bis zur Einführung des § 2a NotSanG durch das Gesetz zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin (MTA-Reform-Gesetz) vom 24. Februar 2021, BGBl. I, S. 274 die in § 4 Abs. 2 Nr. 2c NotSanG beschriebene eigenverantwortliche Durchführung medizinischer, einschließlich invasiver, Maßnahmen. So befasste sich § 4 NotSanG zunächst nur mit der Ausbildung. Umstritten blieb auch die Reichweite und Umfang von Delegation bzw. Substitution arztvorbehaltener Maßnahmen. Wobei eine unmittelbare Delgation durch den bzw. die anwesende/n Notarzt/Notärztin nicht verboten war.
§ 2a NotSanG erweiterte durch das MTA-Reform-Gesetz im Januar 2021 die Kompetenz der Notfallsanitäter (nicht nur den Ausbildungsinhalt) auf heilkundliche Maßnahmen in den gesetzlich vorgesehenen Fällen. Es blieb allerdings die Rechtsunsicherheit bei der Verabreichung von Betäubungsmitteln. Es wurde vertreten, dass es an einer erforderlichen ärztlichen Diagnose mangele. Vergleiche dazu auch die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags WD 9 – 3000 – 028/21 vom 22.06.2021 – PDF; ferner die Ausführungen von Hochstein, in Umgang mit Betäubungsmitteln im Rettungsdienst, NOTARZT 2019; 35(06): 302-304
DOI: 10.1055/a-1022-0516.
Organisatorische Maßnahmen
Organisatorisch haben die jeweiligen Durchführenden des Rettungsdienstes sicherzustellen, den Umgang mit Betäubungsmitteln (BtM) konkret vorzuschreiben, die Verwahrung sicherzustellen und die Umsetzung zu kontrollieren. Das Betäubungsmittelbuch ist akribisch genau zu führen. Der Verbrauch ist sorgfältig zu dokumentieren.
Der Umgang mit Betäubungsmitteln verlangt äußerste Sorgsamkeit. Selbst vermeintliche Lappalien begründen vermeidbare Besuche der Aufsichts- oder gar der Strafverfolgungsbehörden. Nicht nur der unerlaubte Besitz wie die unerlaubte Abgabe können zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sie können auch zum Widerruf der Approbation (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 10.06.2015 – 8 LA 114/14, VG München, Urteil vom 14.06.2016 – M 16 K 15.3275) bzw. bei Notfallsanitätern zum Widerruf der Erlaubnis führen. Die Einbindung freier Notfallsanitäter/innen sowie die Arbeitnehmerüberlassung sorgen ebenfalls für Schwierigkeiten, die es organisatorisch zu meistern gilt.
Die dynamische Entwicklung der Medizin sowie die unterschiedlichen Vorgaben in den jeweiligen Rettungsdienstbereichen erfordern eine stete medikamentöse Fort- und Weiterbildung. Vorstöße wie solche des OLG Hamm mit Urteil vom 26.10.2022, 11 U 127/21, dass Grundsätze der Beweislast auch im Rettungsdienst gelten, sollten aufm. Notfallsanitäter sollten insoweit die Vorsicht mancher verantwortlicher Ärztlicher Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) nicht durch unreflektierte Kritik dämonisieren. Andererseits müssen die ÄLRD beachten, dass ein unbegründetes Verbot heilkundlicher Maßnahmen eine Verantwortung durch Unterlassen nach sich ziehen kann. Bestenfalls werden daher die Gründe für und wider ein Verbot transparent mit Quellenangaben begründet.
Das Erstellen konkreter, rechtlich geprüfter Vorgaben und Checklisten sowie die Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit Betäubungsmitteln gehört daher zu den Mindestpflichten organisatorischer Maßnahmen.
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