Nur 30 Prozent Gewinnbeteiligung an der ärztlichen Gesellschaft und im Übrigen kein eigenes Risiko? Dann kann auch ein Gesellschafter nach Ansicht desLandessozialgericht Baden-Württemberg abhängig beschäftigt sein! Prüfen Sie unbedingt Ihre bestehenden Gesellschaftsverträge! Warum? …
Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2016 – L 5 R 1176/15
Gerade im Verhältnis von Senior- zu Junior-Partnern in einer Gemeinschaftspraxis wählen die Gesellschafter gerne Vertragsgestaltungen, die dem Senior weitreichende Freiheiten und Vermögensanteile belassen und im Gegenzug dem Junior einige Risiken nehmen. Doch selbst wenn die Kassenärztliche Vereinigung das Kooperationsmodell vertragsarztrechtlich billigt, kann das vertragliche Konstrukt das Damoklesschwert einer abhängigen Beschäftigung tragen.
Das war passiert
Ein Zahnarzt – der Seniorpartner der Praxis – überlies einer jungen Kollegin die gesamte Praxiseinrichtung unentgeltlich zur Nutzung. Er beglich auch sämtliche Praxisausgaben, insbesondere die Kosten für die Anmietung der Praxisräume, deren Unterhalt, die Stellung sämtlicher Betriebsmittel, sämtliche Personalkosten, die Kosten der Ersatzbeschaffung und Reparatur der Praxisgerätschaften sowie die Übernahme der Kosten der Steuer- und Rechtsberatung. Zu diesen Praxiskosten zählten auch die im Zusammenhang mit dem Praxislabor entstehenden Unkosten. Die Einrichtung gehörte weiterhin dem Senior. Der Juniorpartnerin verblieben eingeschränkte Geschäftsführungsbefugnisse. Wesentliche Risiken trug sie nicht. Die Gesellschaft erfasste die Umsätze der einzelnen Gesellschafter getrennt voneinander; die Juniorpartnerin sollte aus dem von ihr veranlassten zahnärztlichen Honorar 30 % erhalten; ihr restlicher Umsatzanteil stand dem Seniorpartner zu.
Der Träger der Rentenversicherung erkannte darin eine abhängige Beschäftigung. Er verlangte von dem Seniorpartner die Nachzahlung von Sozialversicherungsentgelten.
Die Entscheidung
Das Gericht verurteilte den Seniorpartner im Berufungsverfahren zu einer Nachzahlung in Höhe von 13.000 Euro an Sozialabgaben.
Es führte hierzu unter anderem aus, dass es Aufgabe der Behörden und Gerichte sei, in einem ersten Schritt festzustellen, welchen Inhalt das in Wahrheit getroffene Rechtsgeschäft der Parteien habe. Auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den wahren Inhalt der Vereinbarungen sei eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder zum Typus der selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen. Die Zuordnung des konkreten Lebenssachverhalts zum rechtlichen Typus der abhängigen Beschäftigung erfordere schließlich eine Gewichtung und Abwägung aller als Indizien für und gegen eine Beschäftigung bzw. selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale der Tätigkeit im Einzelfall. Hierzu führte es weiter aus:
Das für eine selbstständige Tätigkeit typische Unternehmerrisiko ist nicht mit einem Kapitalrisiko gleichzusetzen. Ein Kapitalrisiko, das nur zu geringen Ausfällen führt, wird das tatsächliche Gesamtbild einer Beschäftigung indessen nicht wesentlich bestimmen (…). Maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines Unternehmerrisikos ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (…).
Indizien für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung konnte das LSG Baden-Württemberg anhand folgender Merkmale im Gesellschaftsvertrag ausmachen:
- Wirtschaftliches Risiko der Gesellschafter
- Beteiligung an den Betriebsausgaben der Praxis
- Beteiligung am Praxisinventar
- Kapitalbeteiligung
- Geschäftsführungsbefugnis
- Urlaubs- und Krankheitsregelungen
[Update 21.06.2017] Vergleichen Sie hierzu auch die Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht vom 06.03.2017.
Scheinselbständigkeit Arzt?
Senior/Junior-Gesellschaften sollten ihre Verträge unter diesem Gesichtspunkten prüfen und gegebenenfalls anpassen. Hierzu sollten sie einen im ärztlichen Gesellschaftsrecht erfahrenen Fachanwalt hinzuziehen.