Die Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet ohne vorherigen persönlichen Kontakt von Arzt und Patient ist unzulässig. Hinweisbeschluss des OLG Hamburg.

OLG Hamburg, Beschluss vom 15.08.2023, 5 U 93/22
vorgehend Landgericht Hamburg vom 06.09.2022, 406 HKO 14/22

Ein Verband hatte eine Softwareplattform abgemahnt. Diese bewarb die Ausstellung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet durch Ärzte, die den Patienten zuvor nicht schon einmal behandelt haben, so genannte Folgerezepte. Das Folgerezept für das Medikament wurde von Ärzten ausgestellt, die den Internetnutzer zuvor nicht bereits behandelt haben. 

Fernbehandlung und Versand von Arzneimitteln

Das Landgericht hat mit Urteil vom 06.09.2022 der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für die Ausstellung oder den Versand von Rezepten zum Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel (außer solchen, welche unter das Betäubungsmittelgesetz fallen) zu werben, wenn dies wie aus der Anlage zum Urteil …  ersichtlich geschieht und wenn der das Arzneimittel verordnende Arzt den Patienten zuvor nicht schon einmal behandelt hat. 

Das OLG Hamburg hat darauf hingewiesen, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

Fernbehandlung im Berufsrecht der Ärzte

Der Unterlassungsanspruch gegenüber der Onlineplattform begründe sich zunächst auch aus der Berufsordnung der Ärzte in Hamburg:

Streitgegenstand ist vorliegend das Verbot, im geschäftlichen Verkehr für die Ausstellung oder den Versand von Rezepten zum Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel (…) zu werben, wenn der das Arzneimittel verordnende Arzt den Patienten zuvor nicht schon einmal behandelt hat, wobei es um Folgerezepte geht, und wenn dies geschieht wie im Antrag wiedergegeben. Durch den Zusatz „wenn dies geschieht wie“ liegt eine unmittelbare Bezugnahme auf die konkrete im Antrag eingeblendete Verletzungsform vor (vgl. Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 12 Rn. 1.43). Durch eine solche Bezugnahme wird in der Regel deutlich gemacht, dass Gegenstand des Antrags die konkrete Werbeanzeige sein soll (BGH GRUR 2011, 742 Rn. 17 – Leistungspakete im Preisvergleich). Die neben einer in Bezug genommenen konkreten Verletzungshandlung abstrakt formulierten Merkmale haben die Funktion, den Kreis der Varianten näher zu bestimmen, die von dem Verbot als kerngleiche Verletzungsformen erfasst sein sollen (vgl. BGH GRUR 2010, 855 Rn. 17 – Folienrollos). Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist auch vorliegend der Antrag auf das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichtet, nämlich eine Werbung für Ausstellung oder Versand eines Folgerezepts für das verschreibungspflichtige Blutdruckmedikament … und hierzu kerngleiche Verletzungsformen.

Im Streitfall besteht – wie vom Landgericht zu Recht angenommen – der antragsgegenständliche Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3a UWG i.V.m. § 7 Abs. 3 der Berufsordnung für Ärzte in Hamburg.

Die antragsgegenständliche Erteilung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch Ärzte, die den Patienten zuvor nicht behandelt haben, verstößt – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – gegen ärztliche Berufspflichten, wie sie in § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärzte in Hamburg niedergelegt sind. Nach § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Ärzte in Hamburg beraten und behandeln Ärztinnen und Ärzte Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird. Danach verstößt die hier gegenständliche Erteilung eines „Folgerezeptes“ für das verschreibungspflichtige Medikament „C.“ gegen die ärztliche Sorgfalt, weil nicht sichergestellt ist, dass der Zweck der Verschreibungspflicht gewahrt wird. Insoweit kann bei einem Folgerezept zwar auch eine telefonische Rezeptanforderung ausreichen. Jedoch ist es hierbei notwendig, dass der das Rezept ausstellende Arzt den Patienten bereits zuvor behandelt hat und daher über seinen Gesundheitszustand und die Notwendigkeit der Verordnung dieses Arzneimittels orientiert ist. Der Arzt muss auch bei Folgeverordnungen in gewissen Abständen bestimmte Untersuchungen des Patienten veranlassen, wie etwa beim antragsgegenständlichen Medikament „C.“ Blutdruckmessungen. Gegen diese zutreffenden landgerichtlichen Wertungen bringt die Berufung der Beklagten spezifiziert nichts vor.

Verantwortung von Onlineplattformen

Verantwortlich sein dafür können auch Onlineplattformen, wie das OLG Hamburg weiter ausführt:

Soweit die Beklagte mit ihrer Berufung geltend macht, sie könne nicht gegen ärztliche Berufspflichten verstoßen, weil sie den Arztberuf nicht ausübe und lediglich eine Softwareplattform betreibe, so steht dies ihrer Passivlegitimation nicht entgegen. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte im Hinblick auf den wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch unmittelbar verantwortlich ist, indem sie in Kenntnis des Sachverhalts das antragsgegenständliche Geschäftsmodell über ihre Internetpräsenz angeboten und verbreitet hat. Auch wer selbst nicht Normadressat ist, aber gesetzesunterworfene Dritte dazu anstiftet oder sie dabei unterstützt, gegen Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG zu verstoßen, um damit den Absatz seines eigenen Unternehmens zu fördern (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG), handelt unlauter i.S.v. § 3a UWG (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3a Rn. 1.50 m.w.N.). Insoweit ist Vorsatz erforderlich (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 3a Rn. 1.50 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagten ist zumindest bedingter Vorsatz anzulasten.

Fernbehandlung im Heilmittelwerbegesetz (HWG)

Der Unterlassungsanspruch lasse sich auch aus dem Heilmittelwerbegesetz, § 9 HWG, ableiten:

Nach § 9 Satz 1 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden unzulässig, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Gem. § 9 Satz 2 HWG ist Satz 1 nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

(…) Eine persönliche Wahrnehmung des Patienten durch den behandelnden Arzt erfolgt nicht, weil eine solche nur dann vorliegt, wenn die bei gleichzeitiger physischer Präsenz von Arzt und Patient in einem Raum möglichen ärztlichen Untersuchungsmethoden angewandt werden können (vgl. BGH GRUR 2022, 399 Rn. 29 – Werbung für Fernbehandlung). (…)

Vorsicht bei neuen Technologien

Vor allem im Gesundheitswesen bedürfen neuartige Geschäftsmodelle einer sorgfältigen Prüfung. Andernfalls drohen den Beteiligten nicht nur wettbewerbsrechtliche, sondern auch haftungs- und strafrechtliche Risiken. Gerade in Hinsicht auf neuartige Technologien und Onlinedienste bedarf es einer sorgfältigen Prüfung, welche Geschäftsmodelle nach deutschem Recht tragbar sind. Eine rechtsgebietsübergreifender Blick auf das Medizinrecht, das IT-Recht und das Datenschutzrecht, gegebenenfalls auch das Medizinprodukterecht bietet sich hierfür an. 

Fernbehandlung ist nicht verboten, der Versand von Arzneimitteln auch nicht. Wichtig ist nur, die Spielregeln zu kennen. Wir haben zuletzt in unserem Vortrag zur präklinischen Versorgung und Telemedizin auf Möglichkeiten und Risiken hingewiesen.