Das OLG Oldenburg hatte sich in einer Entscheidung zwischen Neulandmethode und Varianz eines etablierten Behandlungsmethode (hier: Cadisc) zu entscheiden. Im Raum stand mal wieder die Frage über Art und Umfang der Aufklärung.

OLG Oldenburg, Urt. v. 14.12.2022 – 5 U 70/19, ZMGR 2023, 241-245

Dazu stellte das OLG Oldenburg folgende Leitsätze auf:

  1. Nicht jede Neuerung innerhalb eines etablierten Prinzips stellt eine aufklärungspflichtige Neulandmethode dar.
  2. Ob es sich um eine Neulandmethode handelt oder bloß um die (nicht gesondert aufklärungspflichtige) Varianz eines etablierten Prinzips, bestimmt sich danach, ob der Behandler unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen des Patienten bei Anwendung der Methode ex ante mit der ernsthaften Möglichkeit rechnen musste, dass die Methode von den anderen etablierten Methoden so abweicht, dass mit ihr weitere, unbekannte Risiken verbunden sein könnten.

Sachverhalt

Die Klägerin machte den Entscheidungsgründen des veröffentlichten Urteils zufolge geltend, bei der Implantation habe es sich um eine Neulandmethode gehandelt; über diesen Umstand hätte der Arzt sie explizit aufklären müssen. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung greife insoweit nicht, als sie getäuscht worden sei. Beide Eingriffe seien nicht indiziert gewesen, weil die konservativen Behandlungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft worden seien. Das Gericht ging jedoch weder davon aus, dass eine Neulandmethode angewandt worden sei, noch sah es die ärztlichen Aufklärungspflichten verletzt.

Aufklärung bei Neulandmethode

Zur Neulandmethode führte es aus:

Bei der Anwendung einer noch nicht allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsmethode sind zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erhöhte Anforderungen an dessen Aufklärung zu stellen; dem Patienten müssen nicht nur das Für und Wider dieser Methode erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht oder noch nicht medizinischer Standard ist; eine Neulandmethode darf nur dann am Patienten angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken birgt (zuletzt: BGH, Urteil vom 8.5.2021 – VI ZR 401/19.

Neulandmethode oder Varianz

Die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Neulandmethode handelt oder nicht, sei nach Auffassung des OLG Oldenburg eine Rechtsfrage, die unter Hinzuziehung medizinischer Sachverständiger zu klären ist.

Indessen muss nicht jedwede Modifikation im Detail, mag sie vorher auch noch nicht in dieser Spezifikation am Markt vertreten gewesen sein, bereits dazu führen, dass die insoweit „neue“ Methode/das insoweit „neue“ Implantat als aufklärungspflichtige Neulandmethode zu qualifizieren wäre, denn dies beschränkte ohne inhaltliche Rechtfertigung die Therapiefreiheit des Arztes. Entscheidend für die Frage, ob eine Neuerung in diesem Sinne die Schwelle zur Aufklärungspflicht überschreitet, ist, ob der Behandler zu gewärtigen hatte, dass die zu beurteilende Methode im Vergleich zu den etablierten Methoden mit einem abweichenden/unbekannten Risikoprofil verbunden sein würde (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2006 – VI ZR 323/04.

Es komm entscheidend darauf an, ob der Behandler unter Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen des Patienten bei Anwendung der Methode ex ante mit der ernsthaften Möglichkeit rechnen musste, dass die Methode von den anderen etablierten Methoden so abweicht, dass mit ihr unbekannte Risiken verbunden sein könnten. Der Bundesgerichtshof habe diese Gefahr unbekannter neuer Risiken in der Entscheidung Robodoc als Grund für die besondere Behandlung der Neulandmethode in der Aufklärung angeführt. Nach Ansicht des Senates sei daher auch die Frage nach der Qualifikation mit Blick auf diesen Gesichtspunkt zu beantworten. Wolle man nur darauf abstellen, wie lange die Methode gebräuchlich ist oder ob die Fachkreise sie als „neu“ einordnen, bliebe man an der Oberfläche und könnte eine wissenschaftlich fundierte Abgrenzung nicht vornehmen und auch nicht hinreichend fachlich argumentativ erörtern. Ebenfalls untauglich scheine es zur Abgrenzung darauf abzustellen, ob Langzeitstudien zur entsprechenden Methode vorliegen. Für viele Methoden oder Gegenstände gebe es keine solchen Studien; und die Zeiträume, über die sie laufen müssten, führten dazu, dass Ergebnisse mutmaßlich zumeist erst vorlägen, wenn die Methode gar nicht mehr gebräuchlich wäre.

Safety First und Haftung

Welche Anforderungen an Neulandmethoden bestehen, darüber berichteten Kristin Kirsch (AI, Metaverse und Safety First) und Dr. Andreas Staufer (Haftung bei Einsatz von KI) zuletzt auf der 3. OP-Raum-Tagung im Oktober 2023 Berlin.

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