Das Bundessozialgericht in Kassel hat am 30.08.2016 die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern zurückgewiesen: Das Landessozialgericht sah die Beschäftigung von Notärzten als Scheinselbstständigkeit an. Das Urteil hat zwar Auswirkungen für Notärzte auch über die Ländergrenzen Mecklenburg-Vorpommerns hinweg, ob bodengebunden oder in der Luft – gilt aber nicht uneingeschränkt!

BSG, Beschluss vom 30.08.2016 – B 12 R 19/15 B
LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.04.2015 – L 7 R 60/12
SG Neubrandenburg, Urteil vom 21.09.2011 – S 2 R 216/09

Vorneweg: Freie Notärzte gibt es noch

Freiberufliche Notärzte gibt es weiterhin! Das Urteil des Bundessozialgerichts betraf einen konkreten Einzelfall. Die Entscheidung hat vor allem Auswirkungen auf die Notarztstandorte im Land Mecklenburg-Vorpommern. Es ist auch mit den Verhältnissen an zahlreichen Notarztstandorten bundesweit vergleichbar. Die Entscheidung bedeutete aber weder, dass bundesweit an sämtlichen Standorten illegal sozialversicherungspflichtige Notärzte beschäftigt werden, noch läutet es das Ende der freiberuflichen Notarzttätigkeit ein.

Zu unterscheiden sind folgende Konstellationen: Wie wird der Notarzt nach der Konzeption des jeweiligen Landesrettungsdienstgesetzes in den Rettungsdienst eingebunden? Wie ist die tatsächliche und die vertragliche Situation des Notarztes ausgestaltet? Gutachterlich hatten wir diese Fragen bereits zu prüfen.

Einige Beiträge hierzu, die ich online gelesen habe, geben die Rechtslage leider nicht vollständig wieder. Handlungsbedarf besteht dennoch.

Träger in der Handlungspflicht, auch Luftrettung

Sämtliche Rettungsdienstträger sollten den Beschluss des BSG zum Anlass nehmen, die konkrete Situation vor Ort zeitnah zu prüfen. Liegt weiterhin eine freie Tätigkeit vor oder ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis? Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung können dann weitere Handlungsschritte erforderlich sein, mitunter auch eine tatsächliche und vertragliche Anpassung der notärztlichen Beschäftigung oder eben die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

Trägern droht nicht nur die Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Grundsätzlich sind auch strafrechtliche Verfahren nicht ausgeschlossen. Je nach Ausgestaltung sind arbeitszeitrechtliche Grundfragen zu prüfen. Dies gilt auch für die Luftrettung!

Wichtig: Nicht abwarten – sondern zeitnah Handeln!

Zur Entscheidung

Geklagte hatte ein Rettungsdienstträger gegen die Feststellung der Deutschen Rentenversicherung über den Status der Sozialversicherungspflicht eines Notarztes.

Der Fall dreht sich um einen nebenberuflich als Notarzt eingesetzten, beschäftigten Oberarzt eines Universitätsklinikums. Dieser verrichtete für die Klägerin bereits seit Jahren Notarztdienste, seit 2008 vertraglich geregelt durch eine als solche bezeichnete „Honorarvereinbarung“. Der Einsatz erfolgte nach Absprache und Bedarf. Die Vergütung sollte 450,00 € für einen 24-Stundendienst betragen und sei monatlich zu zahlen. Sämtliche Kosten, wie Fahrtkosten, Spesen seien damit abgegolten gewesen. Der Notarzt habe das Honorar zu versteuern und Sozialversicherungsabgaben selbst abzuführen.

Der Einsatzort als Notarzt variierte entsprechend der von der Leitstelle des jeweiligen Landkreises angegebenen ärztlichen Einsätze. Vier- bis fünfmal im Monat bot der Arzt seine Dienste im Rahmes eines 24-Stunden- Dienstes an. Zwei bis drei Dienste pro Monat führte er im Schnitt durch. Er unterlag auch nicht den Weisungen der Klägerin, sondern entschied vor Ort eigenverantwortlich und situationsgerecht als Arzt. Einsatzgebiet und Einsatzort bestimmte die Leitstelle des jeweiligen Landkreises. Die genaue Anzahl der Einsätze und die Einsatzorte wurden durch die jeweiligen Umstände und die Leitstelle bestimmt. Als Einsatzfahrzeuge standen Notarzteinsatzfahrzeuge, teilweise auch RTW zur Verfügung. Die in dem Wagen befindlichen Medikamente und medizinisch-technischen Geräte wurden von dem Notarzt mitgenutzt.

Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (kurz: LSG) erachtete dies dennoch als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.  Nach Ansicht des LSG sei ausschlaggebend für die rechtliche Einordnung der Tätigkeit des Beigeladenen die Verhältnisse nach Annahme – also bei Durchführung – des einzelnen Auftrages und damit die eigentliche Notarzttätigkeit. Abzustellen seit auf den Zeitpunkt „erst“ nach einer entsprechenden Zusage des Notarztes zur Bereitschaft bzw. zur Wahrnehmung des Notarztdienstes für die Klägerin. Nicht entscheidungsrelevant sei, ob sich der Kläger für die entsprechenden Notarztdienste jeweils „anbietet“ bzw. ob er etwa neben den Einsätzen einer weiteren Beschäftigung nachgeht.

Die Weisungsgebundenheit könne bei Diensten höherer Art auch eingeschränkt sein, die Arbeitsleistung bliebe dennoch fremdbestimmt. Sei dem Arbeitgeber eine Einflussnahme auf die Art der Ausführung einer Tätigkeit rechtlich versagt oder aus tatsächlichen Gründen – etwa wegen der überragenden Sach- und Fachkunde des Dienstleistenden – nicht möglich, führe dies nicht quasi zwangsläufig zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit. Die Notarzttätigkeit sei demnach  letztlich genauso wie bei einem bei der Klägerin tätigen „angestellten“ Arzt im Rahmen eines Bereitschaftsdienstes gewesen. Flexible Arbeitszeiten seien darüber hinaus häufig auch in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen anzutreffen.

Ein eigenes Unternehmerrisiko vermochte der Senat nicht zu erkennen. Der Notarzt hatte die Gewähr dafür, für die durchgeführten Bereitschaftsdienste das vereinbarte Pauschalhonorar zu erhalten. Das Risiko, bei entsprechenden Ausfällen kein Pauschalhonorar zu erhalten, wäre nur dann für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit als Indiz zu werten, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder eine höhere Verdienstchance gegenüber bestanden hätte. Hier liegt auch einer der wesentlichen Unterschiede bei den Gestaltungsmöglichkeiten im Notarztdienst.

Das Landessozialgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Das Bundessozialgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde* nun nach den Worten der beschwerdeführenden Kanzlei durch Beschluss (Link) zurückgewiesen.Der Beschluss des BSG liegt zwar noch nicht im Volltext vor. Damit wäre das Urteil des LSG jedoch rechtskräftig.

* Die Zulassung der Revision ist nur in wenigen gesetzlichen Fällen möglich; das Verfahren endet daher meist bereits in der Berufungsinstanz bei den Landessozialgerichten. Die Zulassung der Revision gelingt daher nur in seltenen Fällen. Nur rund 3 % aller Nichtzulassungsbeschwerden führen zum Erfolg (Stand 2012) (Link). Uns ist eine solche bereits geglückt.

Trübe Aussichten für Notärzte?

Die Aussichten jedenfalls sind trüb? Nein, nicht ganz. Es ist nicht das erste Landessozialgerichtsurteil dieser Art. Zu betonen ist dennoch, dass die Auffassung des LSG in anderen Fallvarianten nicht unumstößlich ist – andere Landessozialgerichte, darunter beispielsweise das LSG Potsdam haben auch gegenteilig entschieden. Generelle Aussagen bleiben damit schwierig. Entscheidend sind vor allem das unternehmerische Risiko, die Weisungsbefugnis des Arbeit- oder Auftraggebers sowie die Einbindung in die betrieblichen Abläufe.

Die konkrete Situation der eingesetzten Notärzte ist dennoch schlicht zu überdenken und zwingend zu prüfen. Dabei sind die tatsächlichen und vertraglichen Gegebenheiten vor Ort einzubeziehen und gegebenenfalls anzupassen.

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