Wendet sich das Blatt? Jetzt hat die Vergabekammer Westfalen in Münster am 15.02.2017 – VK 1 – 51/16 – entschieden, dass die Bereichsausnahme im Vergaberecht jedenfalls auf qualifizierte Krankentransportfahrten nicht anwendbar sei. Die Stadt Merl hat die ausgeschriebenen Leistungen des qualifizierten Krankentransports mit Krankenwagen unter Beachtung des 4. Teils des GWB auszuschreiben.
Vergabekammer Münster, Beschluss vom 15. Februar 2017 – VK 1 – 51/16 –, juris
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Die Stadt Merl* war bemüht, die Vergabe von qualifizierten Krankentransportdienstleistungen ohne ein gemeinschaftsrechtskonformes Ausschreibungsverfahren unmittelbar an eine gemeinnützige Organisation zu vergeben. Das gelang ihr (vorerst) nicht.
Die Antragstellerinnen sind zwei Unternehmen der Unternehmensgruppe Falck*; diese bemüht sich bereits seit 2010 um einen Markteintritt in Deutschland. Beide sind antragsbefugt, da sie als in der Branche tätige Unternehmen sich für die Teilnahme an der Ausschreibung interessieren haben und dies mit Schreiben vom 5.10.2016 auch gegenüber der Antragsgegnerin bekundeten. Mit einer gemeinschaftsrechtskonformen Ausschreibung hätten auch sie Chancen auf Erhalt des Auftrages.
Bereichsausnahme im Rettungsdienst
Die Vergabekammer setzt sich sodann mit der Bereichsausnahme nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB auseinander. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie auf qualifizierte Krankentransportfahrten nicht anzuwenden sei. Diese ergebe sich bereits mittels Auslegung der Vorschrift, die allerdings auch unter besonderer Berücksichtigung des europäischen Vergaberechts zu erfolgen habe.
Außergewöhnliche Schadensereignisse
Der qualifizierte Krankentransport falle allerdings nicht in den Bereich des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes oder der Gefahrenabwehr, zu deren Begriffsbestimmung die VK Münster die §§ 1, 11 ZSKG bemüht. Die alltäglich stattfinde Beförderung von Patienten mit einem KTW habe allerdings nichts mit Gefahrenabwehr zu tun. Solche außergewöhnlichen Schadensereignisse seien abzugrenzen von den regulären Patientenbeförderungen, die zeitlich eingeplant werden können und keine Notfallrettung in der Regel beinhalten. (Rn 92 ff.)
Dabei geht die VK Münster offenbar sogar soweit, dass selbst die Notfallrettung nicht unter den Begriff der Gefahrenabwehr zu subsumieren sei; immerhin fände selbst die Notfallrettung alltäglich statt, ohne dass ein außergewöhnliches (Groß-)Schadensereignis, vergleichbar mit einer Katastrophe, vorläge. (Rn. 94)
Der Begriff der „Gefahrenabwehr“ könne „nicht einfach aus dem § 6 RettG NRW übernommen werden und als Rechtsgrund für eine Bereichsausnahme gelten“ (Rn. 96).
Vielmehr sei Richtlinie 2014/24/EU für die Auslegung zu berücksichtigen und dort vor allem Erwägungsgrund 28 RL 2014/24/EU. Patienten im qualifizierten Krankentransport würden regelmäßig aber nicht notfallmäßig transportiert. Die „Sonderregelung“ solle für die außergewöhnlichen Notfälle gelten und nicht auf die Fallkonstellation übertragen werden, in denen ein solcher Notfall nicht vorliegt. (Rn. 107).
So kommt es in Randnummer 111 zu der Conclusio, dass
„neben der Feststellung, welche Leistungen nach welchem CPV Code denn überhaupt von der Bereichsausnahme erfasst werden, zunächst zu prüfen ist, ob eine außergewöhnliches Schadensersatzereignis vorliegt.“
Die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB greife dann nur, wenn ein solches außergewöhnliches Schadensereignis feststellbar ist. (Nur) in einem solchen Fall sei dann auch der „Einsatz von Krankenwagen” ausschreibungsfrei. (Rn. 112) Außerhalb dieser Extremsituationen sei jedenfalls der qualifizierte Krankentransport ausschreibungspflichtig.
Gemeinnützige und Freiwilligenorganisationen
Die Auslegung des Begriffs der gemeinnützigen Organisationen lässt die VK Münster außen vor, da bereits das erste Tatbestandsmerkmal für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme nicht vorliegt.
Der Rückgriff auf Freiwilligenorganisationen sei ebenfalls nicht möglich. Der EuGH gehe in seinen Entscheidungen vom 11.12.2014, Rs. C-113/13 (Spezzino) und vom 28.1.2016, C-50714 (Casta) von dem Grundsatz aus, dass solche Dienstleistungen entsprechend dem Unionsrecht auszuschreiben sind oder bei Unterschreitung des Schwellenwertes, die erforderliche Transparenz und Gleichbehandlung gemäß Art. 49 AEUV und Art. 56 AEUV gewahrt wird. Den Rückgriff auf die Freiwilligenorganisationen – ohne Ausschreibung – erlaube der EuGH nur für den Fall, dass diese tatsächlich im Sinne einer haushaltsrechtlichen Effizienz den Staat im Bereich der Gesundheitsfürsorge uneigennützig unterstützen. Die Rechtsprechung habe allerdings keinen Einzug in die Richtlinie 2014/24/EU gefunden.
Ob die Hilfsorganisationen in der BRD dabei überhaupt als Freiwilligenorganistaionen konzipiert seien, lässt die Vergabekammer zwar offen. Es führt jedoch in Rn. 125 aus:
„Diesbezüglich müssten Geschäftsberichte offen gelegt werden, so dass die Einnahmen den Ausgaben gegenüber gestellt werden könnten. Es wäre somit ein Abgleich der in Rechnung gestellten Kosten mit den Kosten, wie Betriebs- und Personalkosten, erforderlich, den die Hilfsorganisationen tatsächlich aufwenden, um – so wie vorliegend – die qualifizierten Krankentransporte zu finanzieren. Haushaltseffizienz würde dann bedeuten, dass die vereinnahmten Mittel aus den Krankentransporten deckungsgleich (Äquivalenzprinzip) wieder eingesetzt werden; Quersubventionierungen, also die Finanzierung anderer Tätigkeitsfelder, wären nicht erlaubt.“
Eine Anerkennung gemäß § 26 Abs. 1 ZSKG allein genüge hierfür nicht. (Rn. 126)
VK Münster, Beschluss vom 15. Februar 2017 – 1 VK – 51/16